Coronabedingte Isolation hat „Erbschleicherei“ begünstigt

Ein Weckruf

In meiner Kanzlei häufen sich in diesem Jahr die Fälle, in denen es zum Erbschaftstreit wegen vermeintlicher „Erbschleicherei“ gekommen ist.

Die Sachverhalte ähneln sich:
Deutschland coronabedingt im Ausnahmezustand. Allein in seiner Wohnung sitzt der betagte, gesundheitlich in Mitleidenschaft gezogene, zukünftiger Erblasser. Während sich die meisten Verwandten an Besuchsverbote halten, mitunter erfreut darüber, dass es diese Besuchsverbote gibt und anstrengende Weihnachts- und Geburtstagsfeiern ausfallen, macht sich ein entfernter, seit Jahrzehnten nicht mehr gesehener, Verwandter auf und besucht mehrfach den Erblasser. Er bringt Geschenke mit, nimmt sich Zeit, erledigt Einkäufe, – und fährt kurz mal mit dem Erblasser beim Notar vorbei. Corona vergeht. Der Erblasser auch. Und kurze Zeit später erfahren die nächsten Angehörigen, dass sie durch notariell beurkundete letztwillige Verfügungen des Erblassers zugunsten des entfernten Verwandten enterbt wurden.

Dieses Phänomen ist derzeit nicht nur bei entfernten, plötzlich auftauchenden Verwandten zu beobachten, sondern auch bei scheinbar sorgsamen Reinigungshilfen und fürsorglichen Ärzten. Immer gleich ist auch, trotzdem es so viele Artikel, Bücher und Filme, teils komödiantisch inszeniert, zu diesem Thema gibt, dass die nächsten Angehörigen bis zur Testamentseröffnung ahnungslos sind. Man war dankbar für die Hilfe der scheinbar erbrechtlich außen vorstehenden Person. Sogar kleine bis mittelgroße lebzeitige Schenkungen des Erblassers an diese Person wurden gutgeheißen. Umso größer hinterher die Enttäuschung und die Wut.

Das ist verständlich. Doch sollte der Fokus schnell auf das Wirtschaftliche gesetzt werden. Wie kommt der Enterbte trotz gegenteiliger letzter testamentarischer Verfügung des Erblassers an ‘sein‘ Erbe?
Hier hilft nur die Aufarbeitung der Umstände, die zur unliebsamen Testamentserrichtung geführt haben:

Testierunfähigkeit des Erblassers vom Erbschleicher ausgenutzt?

Wie krank war der Erblasser? Litt er unter einer den freien Willen ausschließenden Bewusstseinsstörung? Oder sorgte die coronabedingte Isolation des Erblassers dafür, dass dieser in psychische Abhängigkeit zu der Person geriet, die er letztlich testamentarisch begünstigte? Wurde diese Abhängigkeit ausgenutzt? Welche ärztlichen Dokumente, Zeugen sind vorhanden? Möglicherweise kann die Testierunfähigkeit (§ 2229 Abs. 4 BGB) des Erblassers zur Überzeugung des Gerichts im Zeitpunkt der Testamentserrichtung nachgewiesen werden. In der Folge wären die streitgegenständlichen testamentarischen Verfügungen des Erblassers unwirksam und ausschließlich die bisherigen würden greifen, oder aber es gilt die gesetzliche Erbfolge.

Erbschleicherei durch unbotmäßige Einflussnahme

Hat die testamentarisch begünstigte Person unbotmäßig Einfluss auf den Erblasser genommen; ihn bedroht (z.Bsp. mit der Unterbindung von Besuchen, eigenen wie fremden) oder den deshalb Enterbten verleumdet? Dann kommt eine Anfechtung der unliebsamen testamentarischen Verfügungen gem. §§ 2078 ff BGB in Betracht.

Während das Gericht bei gewichtigen Anhaltspunkten gehalten ist, der Frage der Testierfähigkeit von Amts wegen nachzugehen, muss die Anfechtung von dem, dem der Wegfall der streitgegenständlichen testamentarischen Verfügung zugutekäme, ausdrücklich gem. § 2080 Abs. 1 BGB unter Einhaltung der jeweiligen Vorschriften erklärt werden. Die Feststellung der Testierunfähigkeit kann das Gericht jederzeit treffen. Die Frist für die Anfechtung einer letztwilligen Verfügung beträgt aber nur ein Jahr ab Kenntnis des Anfechtungsgrundes, § 2082 BGB.

Zu Recht haben Gesetzgeber und Rechtsprechung hohe Anforderungen daran geknüpft, dass eine letztwillige Verfügung für unwirksam erklärt wird. Der Aufwand des sauber arbeitenden Rechtsanwalts in diesem Kontext ist nicht zu unterschätzen. Sorgsam sind von dem Enterbten also Kosten und Nutzen abzuwägen. Auch die Dauer des Verfahrens ist zu berücksichtigen. Teilweise hat es den Eindruck, als ob die Gerichte im Corona-Ausnahmezustand stecken geblieben sind.

Daher mein gutgemeinter Rat: Üben Sie besser Vorsicht als Nachsicht! Trauen Sie niemandem, der sich angeblich unentgeltlich, uneigennützig und ehrenamtlich um Ihren Vater, Ihre Mutter etc. kümmert. Kümmern Sie sich selbst! Das ist besser für Ihren Vater, Ihre Mutter etc., – und für Sie selbst.

Sollte Sie dieser Rat zu spät erreichen und Sie haben einen akuten Fall vermeintlicher Erbschleicherei vorliegen, stehe ich Ihnen gern für rechtsanwaltliche Beratung und Vertretung zur Verfügung.

Ihre Carola Einhaus
Rechtsanwältin

Erbschleicherei erkennen und sich davor schützen