Mit erfreulicher Deutlichkeit hat das OLG Celle in seiner Entscheidung vom 09.01.2024, Az. 6 W 175/23, eine testamentarische Verfügung für sittenwidrig erklärt, mit der eine Betreuerin, die nur kurz die Erblasserin betreut hatte, als deren Alleinerbin bestimmt worden war.
Der Fall
Die Erblasserin ist 92 Jahre alt. Vom 02.09. bis zum 18.10.2023 wird sie mit einem schlechten Allgemeinzustand in einem Krankenhaus behandelt, teilt sich in den letzten Tagen vor dem Tod der Tochter mit dieser das Zimmer. Die Tochter ist ihre einzige Angehörige. Schon vor dem Tod der Tochter hatte die Erblasserin keinen Lebenswillen mehr. Für sie wird eine Betreuung eingerichtet. Bei ihrer Anhörung erklärt die Erblasserin gegenüber der Betreuungsrichterin, dass sie sehr verzweifelt sei und beabsichtige, ein Testament zugunsten der Kirche zu errichten. Die Ende September gerichtlich bestellte Berufsbetreuerin beauftragt am 11.10. einen Notar und teilt ihm mit, dass ein Testament errichtet und sie, die Betreuerin, zur Erbin eingesetzt werden soll. Zur Vorbereitung des Testaments scannt die Betreuerin die erforderlichen Urkunden und leitet sie an den Notar weiter. Sie meldet den Notar im Krankenhaus an, begleitet ihn anlässlich der Beurkundung des Testaments zum Zimmer der Erblasserin und stellt ihn der Erblasserin vor. Dann verlässt sie das Zimmer. In dem daraufhin am 11.10. beurkundeten Testament setzt die Erblasserin die Betreuerin als ihre Alleinerbin ein und wendet einer Kirchengemeinde ein Vermächtnis i. H. v. 10.000, – EUR zu. „Hintergrund der Erbeinsetzung ist“, so heißt es in dem Testament, „die Dankbarkeit und die Pflege, welche mir die Erbin seit ihrer Bestellung als Betreuerin zukommen lässt.“ Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus am 18.10. nimmt die Betreuerin die Erblasserin bei sich zu Hause auf, wo sie am 22.10. verstirbt. Die Betreuerin beantragt einen auf sich lautenden Erbschein, den das Amtsgericht Hannover aber nicht erteilt.
Warum erklärt das OLG Celle diese testamentarische Verfügung für sittenwidrig?
Zu Recht, wie die Richter am OLG Celle meinen. Die Erbeinsetzung der Betreuerin sei allein wegen der sittenwidrigen Umstände, die zu ihrer Entstehung geführt hätten, unwirksam. Tatsächlich war die Erblasserin lebensmüde und todkrank. Das wusste die Betreuerin und hat die Schwäche der Erblasserin eigensüchtig missbraucht, indem sie den Notar beauftragte, die Beurkundung organisierte und anschließend die Betreuerin mit zu sich nach Hause nahm, wo sie vier Tage später verstarb ohne die Möglichkeit eines Widerrufs des beurkundeten Testaments.
Fazit zur mutigen Entscheidung des OLG Celle
Die Entscheidung des OLG Celle ist mutig und zu begrüßen. Durchschnittlich werden die Deutschen derzeit 81,2 Jahre alt. Über 110 Milliarden EUR haben sie im Jahr 2024 verschenkt und vererbt; teilweise mit einer durch Demenz, Altersdepression oder Alkoholsucht erheblich geschwächten Persönlichkeitsstruktur. Das nutzen viele Außenstehende und Familienangehörige aus. Längst ist hier nicht mehr nur von dem „Erschleichen“ eines Erbes zu sprechen. Das Verhalten ist zunehmend skrupellos, manipulativ und brutal.
Leider gelingt nicht immer der Nachweis, dass die jeweilige Erbeinsetzung wegen Testierunfähigkeit des Erblassers unwirksam ist; auch eine Anfechtung der Verfügung wegen Drohung (Bsp.: „Wenn du nicht so verfügst, kümmere ich mich nicht mehr um dich.“) kann scheitern, weil der „Erbschleicher“ nicht dumm genug war, diese Drohung vor Zeugen auszusprechen.
Nach der Entscheidung des OLG Celle nun muss und darf der auf Erbschaftsstreit spezialisierte Rechtsanwalt endlich in schlimmen Missbrauchsfällen, beispielsweise bei zwar geschwächten aber nicht nachgewiesen testierunfähigen Erblassern, an § 138 Abs. 1 BGB denken und insofern die Feststellung der Unwirksamkeit der missliebigen testamentarischen Verfügung fordern. Das ist ein großer Schritt der Rechtsprechung im Kampf gegen das moderne Erbschleichertum.
Sprechen Sie mich gerne darauf an!
Dr. Carola Einhaus
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Erbrecht
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