Für den Gesetzgeber ist der letzte Wille des Erblassers „heilig“.
Zahlreiche Vorschriften im BGB handeln davon, wann und wie der Wortlaut einzelner testamentarischer Verfügungen so zu verstehen oder auszulegen ist, dass dem Erblasserwillen zum Durchbruch verholfen wird.
Seine Grenzen finden diese Bemühungen aber beim Pflichtteilsrecht. Freilich kann der Erblasser zu Lebzeiten frei über sein Vermögen verfügen und dies beispielsweise durch kaschierte Schenkungen an Dritte verringern, so dass der Pflichtteil des enterbten Kindes auf ein Minimum reduziert wird. Doch am Todestag ist Schluss damit. Dann wird im wahrsten Sinne des Wortes „abgerechnet“.
Der jetzt stärkste Anspruch des enterbten Kindes oder des enterbten Ehegattens ist der auf Auskunft gegen den Erben über den Bestand des Nachlasses am Todestag, also über seine Aktiva und Passiva. Der Erbe hat diese Auskunft in jedem Fall zu erteilen. Fehlende Informationen und Belege muss er bei Banken und Behörden organisieren, ggf. hierzu einen Erbschein beantragen. Das Verzeichnis soll auch Angaben über alle Schenkungen enthalten, die der Erblasser in den letzten 10 Jahren vor seinem Tod getätigt hat. Hier wird gern die eine oder andere „Anstandsschenkung“, angeblich zu Geburtstagen der Enkelkinder oder zum Hochzeitstag, übersehen. Gezieltes Nachfragen und gewissenhafte Prüfung der Kontoauszüge bringen mitunter den Erben dazu, sich an mehr zu erinnern.
Ergänzend hierzu kann das Grundbuchamt sowie das Nachlassgericht um Auskunft gebeten werden. Der Pflichtteilsberechtigte muss allerdings jeweils ein „berechtigtes Interesse“ nachweisen, was nur bei geeigneter Argumentation gelingt.
Aus den optimaler Weise so vervollständigten Angaben über den Nachlass errechnet sich der Wert des Pflichtteils, der immer die Hälfte des gesetzlichen Erbteils ist.
Fiktiv zum Nachlass hinzugerechnet, werden die bekannt gewordenen unverhältnismäßig großen Schenkungen des Erblassers. Daraus ergibt sich ein fiktiver Pflichtteil, der abzgl. des realen (s. o.) zum sog. Pflichtteilsergänzungsanspruch des Enterbten führt.
Diese Rechte, die der Gesetzgeber dem Pflichtteilsberechtigten einräumt, lösen wohl nicht seine Traurigkeit und den Ärger über die offensichtliche Geringschätzung, die in einer Enterbung liegt, auf. Sie vermitteln aber auf wohltuende Weise, dass es dem Gesetzgeber egal ist, auf welchen unglücklichen Umständen die Enterbung beruht. Ohne Ansehung der Person soll der Pflichtteil jedem enterbten Abkömmling oder Ehegatten „sicher“ sein.
Rechtsanwältin Dr. Carola Einhaus
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