Deutscher Erbschein und Europäisches Nachlasszeugnis (2018/12)
Laut statistischem Bundesamt wurde im Jahr 2017 in Deutschland Vermögen im Wert von über 40 Milliarden EUR vererbt.1 Immer häufiger befindet sich das Vermögen des Erblassers nicht nur in Deutschland, sondern in anderen europäischen Ländern. Dort ergeht es den Menschen umgekehrt ähnlich. Und so verabschiedete der europäische Gesetzgeber vor über drei Jahren die Europäische Erbrechtsverordnung (EuErbVO), um die Nachlassabwicklung in den verschiedenen Ländern zu vereinheitlichen und zu vereinfachen. Schwierigkeiten gibt es trotzdem, wie die die in der Rechtspraxis viel diskutierte „Oberle“-Entscheidung des EuGH2 zeigt:
Hier war ein Witwer französischer Nationalität mit letztem gewöhnlichen Aufenthalt in Frankreich verstorben. Ohne Testament. Sein Nachlass befand sich in Deutschland und Frankreich. Eine „acte de notariété“ wies die beiden Kinder des Erblassers als Erben zu je ½ in Bezug auf den Nachlassbestand in Frankreich aus. Einer der beiden Kinder beantragte anschließend beim zuständigen Nachlassgericht BerlinSchöneberg einen sog. gegenständlich beschränkten Fremdrechts-Erbschein, der die Geschwister als Erben zu je ½ des in Deutschland belegenen Nachlasses nach französischem Recht ausweisen sollte. Das Amtsgericht wies den Antrag jedoch zurück. Ihm fehle die internationale Zuständigkeit für die Erteilung des beantragten deutschen Erbscheins. Die Gerichte Frankreichs seien zuständig, weil der Erblasser dort seinen letzten Wohnsitz gehabt habe. Das EuGH hat mit o. g. Entscheidung diese Ansicht bekräftigt. Allerdings waren und sind französischen Gerichte nicht befugt, einen deutschen Erbschein wie beantragt zu erteilen. Und so müssen die Geschwister nun, nach monatelanger Verzögerung, ein Europäisches Nachlasszeugnis beantragen, mit welchem sich die Erbfolge in Deutschland und Frankreich nachweisen lässt. Ein solches Nachlasszeugnis hätte anstelle des deutschen Erbscheins auch direkt beantragt werden können.
Für den deutschen Erblasser mit Dauerwohnsitz im europäischen Ausland bedeutet o. g. Entscheidung des EuGH Folgendes: Weil nicht deutsches Erbrecht gilt, können die Erben auch keinen deutschen Erbschein erhalten. Selbst dann nicht, wenn sich das Vermögen des Erblassers nur in Deutschland befindet. Den Erben ist in einem solchen Fall zu raten, ein Europäisches Nachlasszeugnis zu beantragen. Anders verhielte es sich, wenn besagter Erblasser testamentarisch deutsches Erbrecht als für seinen Erbfall einschlägig gewählt hätte. Dann könnten die deutschen Gerichte nach deutschem Recht einen Erbschein erteilen.
Rechtsanwältin Dr. Carola Einhaus, Düsseldorf
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1. Statistisches Bundesamt, Finanzen und Steuern, Erbschaft- und Schenkungsteuer 2017, 2018, 11.↩
2. EuGH, ECLI:EU:C:2018:485 = NJW 2018, 2309 – Oberle↩
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